Begleitband
zur Ausstellung im Museum Friedland
Im März 2016
wurde das Museum Friedland eröffnet das seitdem seine erste Dauerausstellung Fluchtpunkt Friedland. Über das
Grenzdurchgangslager, 1945 bis heute präsentiert. 2017 ist der Begleitband
zur Ausstellung erschienen, ein Buch, das nicht nur die Inhalte, sondern auch
das Konzept der Ausstellung und des Museums selbst vorstellt. Dabei erfährt der
Leser Erstaunliches, Brisantes und Denkwürdiges über gut 70 Jahre Lager- und
Nachkriegsgeschichte der Einrichtung, die bis heute in der öffentlichen
Wahrnehmung als „Tor zur Freiheit“ begriffen und mit entlassenen sowjetischen Kriegsgefangenen,
Aussiedlern, Spätaussiedlern, oder DDR-Flüchtlingen in Verbindung gebracht wird
und doch so viel mehr war und ist.
Das Museum
entstand aufgrund eines Beschlusses des niedersächsischen Landtags im Jahre
2006, als der Fortbestand des Lagers wegen geringer Auslastung zur Disposition
stand. Das Museum sollte dazu dienen, „die historische Bedeutung des
Grenzdurchgangslagers Friedland angemessen zu würdigen“. Doch das ehemalige
Grenzdurchgangslager hat mit der sogenannten Flüchtlingskrise seit 2011 eine
neue Bedeutung gewonnen. Ein Aspekt, der das Museum vor ganz neue Herausforderungen
stellte aber auch die Chance bietet, seine Aufgabe neu und zeitgemäß zu
definieren. Und so ist das Museum nicht nur Erinnerungsstätte sondern vor allem
zu einem Ort der Auseinandersetzung mit dem Thema Migration geworden, die auf
die Nachkriegszeit, den kalten Krieg und dessen Ende einschließlich der
ideologischen Hintergründe, den daraus resultierenden öffentlichen und
politischen Unterscheidungen in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge zurückblickt
und gleichzeitig die gegenwärtigen Entwicklungen betrachtet.
Abschied, Ankunft, Neubeginn, Fluchtpunkte und
Perspektiven
Das Museum
liegt in direkter Nähe des Lagers, das seit seiner Errichtung insgesamt mehr
als 4 Millionen Migranten beherbergt, betreut, verwaltet, weitergeleitet hat.
Und so nutzen die Museumsleute auch die Möglichkeit, die Geschichte und Entwicklung
nicht nur anhand von Dokumenten zu zeigen, sondern dies auch interaktiv mit den
Migranten zu präsentieren. Fotostrecken des Lageralltags, Interviews, persönliche
Schicksale und Empfindungen geben dem Thema Flüchtling, Migration ein Gesicht. Den
Kuratoren geht es um unterschiedliche Perspektiven, um Hinterfragen, um einen „kritischen
und differenzierten Blick auf Geschichte und Gegenwart von Migration in der Bundesrepublik“. Und auch,
wenn das Kuratorendeutsch an der einen oder anderen Stelle vor allem bei der Erklärung
der Konzeption der einzelnen Ausstellungräume gelegentlich ein wenig nervt,
wird bei der Lektüre und Betrachtung der zahlreichen Illustrationen schnell
klar, dass ein Besuch im Museum eine spannende und nicht nur informativ sondern
auch emotional erfahrbare Reise in Geschichte und Gegenwart darstellt.
Rückkehrer, Aussiedler und Flüchtlinge
Auch das Buch
folgt einem ungewöhnlichen Konzept. Essays und Bilderstrecken, Zitate und ein Friedländer
Kalendarium am Seitenrand, der sich durch das ganze Buch zieht, bilden ein
multiperspektivisches Geflecht. Und am Ende wird klar: Dieses Museum wird wohl
noch sehr lange Zeit in ständiger Bewegung sein (müssen), neue Themen
aufgreifen, Projekte initiieren, Auseinandersetzungen führen, Forschen. Denn
aktueller Schwerpunkt von Ausstellung und Buch Ausstellung ist naturgemäß die
Vergangenheit. Da stellt Katrin Piper die gesellschaftlichen Debatten um die
Zuwanderung aus der sowjetischen Besatzungszone und das Jugendauffanglager
Friedland, 1947 – 1951 vor, analysiert Johanna Wensch die Berichterstattung
bundesdeutscher Zeitungen über die Ankunft der letzten Kriegsgefangenen aus der
Sowjetunion in Friedland 1955/56, schildert Birga Meyer die Aufnahme von
AussiedlerInnen im Grenzdurchgangslager Friedland von den 1950er bis 1970er
Jahren oder klärt Lorraine Buche über die Unterbringung und Bewertung
ausländischer geflüchteter (Chile, Vietnam etc.) in den 1970er und 1980er
Jahren. All diese Essays sind gespickt mit spannenden und für viele Leser
sicherlich teils neuen Informationen, die dazu beitragen, die heutige
vermeintliche Flüchtlingskrise (der Aspekt der politischen Rhetorik zieht sich
ebenfalls durch die verschiedenen Aufsätze) auch vor dem Hintergrund
historischer Perspektiven zu betrachten.
Geschichte einer Institution – Geschichte von
Menschen
Apropos
Perspektiven. Natürlich geht es neben der Sicht der Deutschen auf die
Flüchtlinge auch – im doppelten Sinne - um die Perspektiven der Migranten. Die
Perspektive des Museums scheint in seinen Grundzügen klar. Fest steht, dass die
Ausstellung aber auch die Forschungs- und Veranstaltungsaktivitäten erweitert und
ausgebaut werden sollen. Aus dem ursprünglich geplanten Museum der vergangenen
Geschichte eines stillgelegten Transitlagers ist eine Institution geworden, die
das Flüchtlingslager Friedland auch in der Zukunft als Spiegel bundesdeutscher
Flüchtlingspolitik dokumentarisch begleiten wird. Fluchtpunkt Friedland ist ein
außerordentlich vielschichtiges Buch, das bei vielen Erinnerungen hervorruft, zum
Nachdenken anregt und in jedem Fall Eindruck hinterlässt. Und es macht durchaus
Lust auf einen Besuch im Museum, das übrigens eine vom Lager Friedland
unabhängige Einrichtung ist.
Joachim
Baur/ Lorraine Bluche: Fluchtpunkt Friedland. Über das Grenzdurchgangslager,
1945 bis heute. Wallstein, 2017.
Hardcover, 232 Seiten.
Zur Homepage des Museums Friedland
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