eine Fantastische Erzählung aus dem Nordhessischen Bergland
„Der Sohn der Roten Wölfin“ ist nach „Das Geheimnis der Kasseler Berge“ das zweite Buch der Schriftstellerin aus Kassel, Cora Friedrichs, das sich mit der Parallelwelt des Nordhessischen Berglandes befasst.
„Ganz schön durchgeknallt“ ist der erste Gedanke, der einen überkommt, wenn man versucht, dem roten Faden der Einleitung zu folgen. Aber bereits das nur scheinbar heillose inhaltliche Durcheinander, der plaudernde Stil, der gelegentlich an tratschende Dorfweiber erinnert, lassen aus dem „ganz schön durchgeknallt“ schnell ein „wunderbar durchgeknallt“ werden.
Ja, anmutig tanzende Elfen, heroische Waldläufer, süßliche Einhörner und all die verklärten Fantasywesen wird man in Cora Friedrichs Geschichten vergeblich suchen. Und ganz ehrlich, wenn jemand die Bewohner und Mentalität des Nordhessischen Berglands vor Augen hat, drängen sich solche Figuren nicht gerade zwingend auf - Märchenstraße hin, Märchenstraße her. Je weiter man sich auf die Geschichte Fengurs, des Sohnes der Roten Wölfin und seines ungeheuerlichen Irrlichts einlässt und mit der Wirklichkeit – sei es nun unserer oder der anderen, der Parallelwelt – des Nordhessischen Berglandes vergleicht, desto vertrauter werden einem die muffeligen Werwölfe, die verschlagenen und selbstgefälligen Jagdpächter, die skurrilen „Naturburschen“ und die informellen Machtgefüge der kleinteiligen ländlichen Region. Und irgendwann spielt es gar keine Rolle mehr, in welchem der Paralleluniversen sich der Leser gerade befindet.
Teil I: Das Kind Fengur und sein Irrlicht
Trotz des flapsigen Stils, der so wunderbar typisch-belanglosen Dialoge und der im Grunde recht einfachen Kerngeschichte, ist das Buch ein literarisches Kunstwerk. Nein, eigentlich genau deshalb. Denn hinter all dem scheinbar Oberflächlichen, in den den Haupthandlungsstrang geradezu umwuchernden Episoden, Episödchen, Dialogen, Gedankenfetzen, steckt eine unglaubliche Menge an Ironie, Sarkasmus, Allegorien und nicht zuletzt Recherche, die sich erst richtig erschließen, wenn man das Buch ein zweites mal, dann sehr viel konzentrierter und nachdenklicher, gelesen hat. Wahrscheinlich liegt das Buch nicht Jedem, allein schon deshalb, weil es in keine vertraute Schublade passt. Wer jedoch zu den aufgeschlosseneren Menschen dieser Region gehört, oder als „Fremder“ von ganz weit weg – also sagen wir mal aus Göttingen? oder gar Hannover? – diese gelegentlich merkwürdige Gegend und Mentalität ein wenig besser zu verstehen versuchen möchte, für den ist „Der Sohn der Roten Wölfin“ geradezu ein Geheimtipp. Und keine Angst vor dem „ersten mal“. Das Buch vor dem Ende aus der Hand zu legen ist, sobald man sich darauf eingelassen hat, keine Option.
Teil II: Fengur wird Erwachsen und sein Irrlicht kehrt zurück
Fengur ist erwachsen geworden. Und er ist ein Werwolf, einer von inzwischen vielen in seinem Dorf. Fengurs Nichte Fine, eine adelige, weil geborene Werwölfin, hatte ihn als Baby gebissen und nun gab es im Dorf mit Fengur eben noch ein Falsches Werwolfsblut - eindeutig zu viel Wächter. Fengur zieht mit Fine, oder Finchen - schließlich erhält in Nordhessen selbst die schrumpeligste Greisin das vernielichende "chen" an seinen Namen gehängt - sozusagen als Chefwächter in ein anderes Dorf. Natürlich sind sowohl Fengur und auch Finchen noch jung und sich ihrer gegenseitigen Gefühle noch nicht so richtig sicher. Gefühle, das wird auch im zweiten Teil des "Sohnes der roten Wölfin" deutlich, sind in Nordhessischen Paralleluniversum ohnehin so eine Sache. Darüber spricht man nicht, gefühlstechnische Konflikte trägt man im Innern, mit sich selbst aus, und nicht mit jenen, die es betrifft.
Statt zu reden, schmeißt man viel lieber diese widerlichen Einhörner, die hier in der Gegend nun wirklich nichts zu suchen haben, um, oder verrollt Kroppzeug und Dämonen, selbst dann wenn es die eigenen sind.
Fengurs Irrlicht ist so ein Dämon, der wieder auftaucht und nicht nur die Beziehung zwischen Finchen und ihm, auf eine harte Probe stellt.
Auch für den zweiten Teil des Buches gilt: so einfach die Geschichte auf den ersten Blick daherkommt, so vielschichtig ist sie tatsächlich. Sie erzählt von dem recht herben und emotional eher nach innen gekehrten nordhessichen Menschenschlag, bei dem man nie genau weiß, ob solche Sprüche wie "Halts Maul" eine Liebeserklärung oder die letzte Warnung vor der Exekution sind. Sie erzählt von einer Landbevölkerung, die im Vergleich zur regionalen Hauptstadt in einer eigenen Welt mit eigenen Strukturen, Regeln und Gesetzen lebt, die sich Veränderungen gegenüber als außerordentlich widerstandsfähig erweist. Sie erzählt von den bescheidenen und meist vergeblichen Ansätzen und Bedürfnissen, aus dieser Welt auszubrechen, von Emanzipierungsversuchen, und deren Scheitern. Denn das irgendwie auch sichere Geflecht familiärer und traditioneller Strukturen zeigt sich am Ende meist stärker als der individuelle Freiheitsdrang - sicher übrigens natürlich nur, wenn man dazugehört.
Ein besonderes Buch
Es ist ein durchaus kritischer, andererseits aber auch liebevoller Blick auf die "Hinterwäldler" um den Meissner herum, den die Geschichte offenbart. Geschrieben im schnoddrigen und sparsamen nordhessischen Redestil liest sich Cora Friedrichs Geschichte trotz des emotionalen, gesellschaftskritischen und psychologischen Tiefgangs im wunderbaren aber ungewohnten Erzählstil, leicht, lebendig, spannend und immer wieder mit einem Schmunzeln. Denn bei allem offensichtlichen Respekt, den die Autorin den in Tradition und Vorurteilen verhafteten Wesen der meißnerschen Parallelwelt entgegenbringt, wenn man sie nicht allzu ernst nimmt, ist es wesentlich einfacher, sich ihnen zu nähern.
Meine persönliche Empfehlung übrigens: lesen Sie zuerst die Anmerkungen am Ende, damit Sie wissen, worauf Sie sich einlassen und „wes Geistes Kind“ in ganz positivem Sinne die Autorin ist.
Cora Friedrichs: Der Sohn der Roten Wölfin. Bod 2010. Taschenbuch, ISBN 9783842374669.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen