Donnerstag, 27. Oktober 2011

Munitium – ein Buch zum Römerlager Hedemünden

Eine andere Sichtweise zu Funktion und Charakter des Römerlagers Hedemünden, von Egon Kühn

Auf den ersten Blick erscheint es ein wenig gewagt für einen nicht akademischen Historiker wie Egon Kühn, Sichtweisen der studierten Fachleute infrage zu stellen und mit eigenen Bewertungen archäologischer Befunde und historischer Quellen an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber was Kühn mit seinem Buch „Munitium – eine andere Sichtweise zu Funktion und Charakter des Römerlagers Hedemünden“ im Oktober 2011 vorgelegt hat, ist alles andere als das Elaborat eines geltungssüchtigen Heimatforschers. Es ist eine locker und verständlich geschriebene wissenschaftliche Arbeit mit interessanten und vor allem solide begründeten Ergebnissen und Schlussfolgerungen hinsichtlich der Bedeutung des Römerlagers Hedemünden.


Die „andere Sichtweise“ ist daher auch keine neue Theorie, die alle bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Haufen werfen soll, sondern letztendlich eine Plausibilitätsprüfung und damit Feinkorrektur von gängigen Vorstellungen über die Römer in Germanien im Allgemeinen und die Rolle des Römerlagers Hedemünden im historisch-strategischen Gesamtzusammenhang im Besonderen. Und genau Letzteres ist angesichts teilweise widersprüchlicher oder ungenauer und gelegentlich doch eher lokalpatriotisch geprägter Sichtweisen (die Chatten als mächtiges Bollwerk gegen die römischen Invasoren), die regionale Historiker gerne hochhalten, längst überfällig.

„Munitium“ wissenschaftlich auf aktuellstem Stand

Dass, wie Kühn hervorhebt, „die Feldzüge des Drusus  . . . keine Strafexpeditionen anlässlich germanischer Grenzübergriffe, sondern ein Kriegszug zur systematischen Unterwerfung und Einverleibung des Gebietes bis zur Elbe in das römische Reich“ war, steht fachlicherseits spätestens seit den neuesten Erkenntnissen, die in Zusammenhang mit dem Varusjahr 2009 publiziert wurden, kaum noch infrage. Dass diese Erkenntnis aber auch Konsequenzen für die Bewertung des bislang als „Außenposten in Feindesland“ verstandenen Römerlagers Hedemünden hat, zeigt Kühn in seinem Buch sehr anschaulich und nachvollziehbar. „Hedemünden“, so der Autor, „war nicht im Feindesland isoliert, sondern Teil einer flächendeckenden Infrastruktur im unterworfenen und ‚befriedeten‘ Germanien. Allein deshalb lohnt sich die Lektüre von „Munitium“, das unter anderem mit „Germania und die Insel Thule, die Entschlüsselung von Ptolemaios`Atlas der Oikumene“, die aktuellsten und teilweise recht spektakulären wissenschaftlichen Hintergründe mit verarbeitet hat.

Wissenschaftliche Annahmen auf dem Prüfstand


Egon Kühn führt den Leser unkompliziert und dennoch kompetent in die römisch-germanische Welt vor rund 2000 Jahren ein. Erläutert – anschaulich illustriert durch Karten und Fotos – Systematik und Ablauf der Drususfeldzüge aber auch Gedanken zu Hintergründen und mutmaßlichem Ablauf der Varusschlacht. Er informiert über Struktur und Organisation des römischen Heeres und der Flotte aber auch der germanischen Kampfverbände. Bevor der Autor zu seinen Kernaussagen hinsichtlich Hedemündens kommt, vermittelt er als Grundlage ein komplexes und fundiertes Bild der damaligen Rahmenbedingungen. Dabei ist blindes Nachplappern von Aussagen wissenschaftlicher Größen Kühns Sache nicht. Und es ist immer wieder interessant, wie die von ihm immer wieder gestellte Frage „kann es praktisch überhaupt so gewesen sein, wie behauptet wird?“ scheinbar gesicherte historische Erkenntnisse als das entlarven, was sie oft genug sind: quellengestützte Annahmen.

Ein fundierter Beitrag zur Diskussion

Aber Kühn nimmt nicht für sich in Anspruch, mit seinen Überlegungen und Schlussfolgerungen die letzte Weisheit gefunden zu haben. Insofern ist „Munitium“ im besten Sinne ein Buch zum Nachdenken und eine Aufforderung an „die Wissenschaft“, ihre eigenen Aussagen auf praktische Plausibilität zu überprüfen. Was damit gemeint ist, zeigt Kühn mit seinem detaillierten Entwurf zu Struktur und Architektur eines römischen Marschlagers. Und spätestens hier wird klar, was mit „anderen Sichtweisen“ gemeint ist: ein gelegentlicher Perspektivwechsel von der Theorie zur Praxis. Praktisch übrigens auch  das umfangreiche Literaturverzeichnis und die links zu interessanten und vertiefenden Internetseiten.
Egon Kühn: Munitium. Eine andere Sichtweise zu Funktion und Charakter des Römerlagers Hedemünden.

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