Donnerstag, 29. Dezember 2011

Brehms Tierland – aus dem Expeditionsbuch des Tierforschers Edmund Alfred Brehm

Ein satirischer Abenteuerroman der Edition Büchergilde


Keine Frage, der Tierforscher und Naturwissenschaftler Edmund Alfred Brehm ist ein Genie. Das zeigt sich nicht nur daran, dass es ihm auf seiner Reise zum von ihm zu entdeckenden geheimnisvollen Tierland so ganz nebenbei gelingt, die Entstehung des Himmelblaus aus dem Meeresblau zu erkennen. Sein Forschungsbericht strotzt geradezu vor Entdeckungen, Erfindungen und Erkenntnissen, auf die die Menschheit nur gewartet hat, die sie aber wohl bis heute nicht so recht zu würdigen weiß.


Man denke da nur an die eigens für die Expedition konstruierten Schwebeboote des Naturforschers, der nach dem Motto lebt: „ein Edmund Alfred Brehm gibt niemals auf“. Und so schafft es Brehm nicht nur zahllose so merkwürdige Tierarten wie den Gill, das Plabubble, Denunziaffen, Fröhölleries, Kompenasoren oder Strandulen zu entdecken, zu dokumentieren und gelegentlich auch im Rahmen seiner Forschungen auszurotten. Immerhin setzt er sich auch gegenüber dem Piratenkapitän Pamphile und seiner Mannschaft, die er für die Expedition gechartert hatte durch.
Wie es sich für eine richtige Expedition gehört, gerät der geniale Forscher ständig in Lebensgefahr, sei es, dass er die Gefährlichkeit der unbekannten Tiere zunächst unterschätzt, sei es, dass er sich mit dem fürchterlichsten aller tierischen Inselbewohner, dem Kerska anlegt und dabei einem finalen Duell entgegensteuert, das die ganze Tierlandinsel droht, in den Untergang zu reißen.

Verkehrte Welt in Vollendung

Nicht nur die bislang unbekannte und von Brehm entdeckte und beschriebene Tierwelt ist skurril, phantastisch und absurd. Die Menschen sind es nicht weniger. So beispielsweise die schreckliche Hermine, ein männliches Monster in Frauenkleidern, Großer Häuptling, ein offensichtlich ständig zugekiffter Fährtenleser indianischer Abstammung oder Long John Silberstiefel, der mit dem Survival-Kit in seinem Holzbein. Und dann ist da neben Brehm noch die zweite Hauptperson: Mathilde, die wilde Tierlandfrau, die sich für einen Ritter und Brehm für ein zu umwerbendes Fräulein hält. Hier entspinnt sich auch noch eine wunderliche Liebesbeziehung, die in vielen existenziellen Abenteuern auf eine harte Probe gestellt wird. Bei der Lektüre von „Brehms Tierland“ fühlt sich der Leser gelegentlich übrigens auch an Münchhausen oder Käptn Blaubär erinnert.

Parodistisches Expeditionsbuch


Denn phantastisch, skurril, absurd, abenteuerlich, das sind Attribute, die durch jede Zeile dieses in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlichen Buches hindurchschimmern. Und wer sich ein wenig mit der Geschichte der Natur- und Tierforscher des 19. Jahrhunderts befasst hat, der findet hier einige satirisch überspitzte Parallelen, die sich übrigens auch in Brehms Anschreiben zur Akquisition von Forschungsgeldern bei „der Akademie“ wiederfinden. Und nicht zufällig, so hat mir der Autor Kai Splittergerber bei einer Lesung in Kassel verraten, unterscheidet sich der Name des fiktiven Brehm von dem seines realen und berühmten Namensvetters nur in der Reihenfolge der Vornamen. Aber das Buch besteht nicht nur aus Text, es ist in seiner ganzen Aufmachung und Gestaltung ebenfalls eine Parodie auf die Reise-und Forschungsberichte sich gelegentlich selbst überschätzender „Wissenschaftler“ vergangener Zeiten. Da sind zum einen die ironisch-frischen Illustrationen der Grafikdesignerin Dorothea Huber, das bewusste Typografische „Durcheinander“ bei den Erläuterungen innerhalb der Illustrationen und der Wechsel zwischen den Printlettern des von Fußnoten, Grafiken und Nebenbemerkungen durchbrochenen Fließtextes und zusätzlichen handschriftlichen Notizen, die ergänzend in den Forschungsbericht eingefügt wurden. Und am Ende findet der Leser noch eine Tierlandkarte, auf der die wesentlichen Tiere und Orte, die bei der Expedition eine Rolle spielten, verzeichnet sind.

Ein Buch in der Tradition der Moderne


Mit seinem Text-Bild-Konzept, bei dem die Grafik nicht nur der rein additiven Illustration des Textes dient, sondern eine untrennbare künstlerische Verbindung mit diesem eingeht, greift das Buch aus der Edition Büchergilde eine Tradition der Moderne, die sogenannte „Arts-and-Crafts“-Bewegung auf, zu dessen interessantesten Werken das 1926 erschienene Buch „Die sieben Säulen der Weisheit“,  ein autobiografischer Kriegsbericht von T.E. Lawrence (bekannt als Lawrence von Arabien) gehören dürfte.
Für jeden, der dem satirisch, phantastisch, absurden und künstlerisch ambitionierten Literaturgenre zugeneigt ist, kann das Buch „Brehms Tierland“ nur empfohlen werden. Ebenso empfehlenswert ist es übrigens, einer Lesung des Autors beizuwohnen, die in der Regel mit der Ausstellung „Viva Terrarium“, der einzigartigen Tiersammlung des Forschers, verknüpft ist. Denn nicht nur das Buch ist ein Genuss, sondern auch die Erzählkunst des Autors, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

Kai Splittergerber, Dorothea Huber: Brehms Tierland. Aus dem Expeditionsbuch des Tierforschers E. Alfred Brehm. Edition Büchergilde 2011. Gebunden mit Schutzumschlag, 240 Seiten. ISBN 978-3-940111-82-1

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