Freitag, 18. Oktober 2013

Der Braunkohlebergbau bei Hessisch Lichtenau


Station Glimmerode - Hellkopfsee

 Still liegt er da, der Hellkopfsee, eindrucksvoll mit seinen mehr als einem Kilometer Länge und fast 500 Metern Breite. Von oben betrachtet – also vom Grimmsteig aus, der oberhalb des östlichen Endes vorbeiführt, oder aber vom Turm der Reichenberger Burg – gleicht er beinahe einem norwegischen Bergsee oder einem schottischen Loch der Lowlands, wenn da nicht der Blick über die Ebene am westlichen Ende des Gewässers streifen würde, der zeigt, dass wir uns hier am Rande der Hessisch Lichtenauer Mulde befinden.

Naturgeschichtlich hat der Hellkopfsee mit schottischen Lochs oder norwegischen Bergseen so gar nichts gemeinsam. Er ist, wie viele seiner Kollegen in der Region, ein von Menschenhand geschaffenes – oder besser verursachtes – Naturereignis.

Das braune Gold

Dort, wo heute seltene Pflanzen- und Insektenarten gedeihen, Angler und Erholungssuchende den See mit der hervorragenden Wasserqualität nutzen, bissen sich noch vor einem knappen halben Jahrhundert die Klauen der Abraum- und Kohlebagger in den Boden. Zeche Glimmerode heißt der ehemalige Braunkohletagebau in der Nähe von Retterode, der in der Vergangenheit – je nach Besitzer - tatsächlich viele Namen trug (siehe Infokasten). Seinen Namen hat die Zeche von dem Gut Glimmerode dessen Ländereien sich von Hopfelde im Osten bis nach Retterode im Westen erstreckte. Auch der Berg Vogelsburg – heute ein interessantes Biotop des ehemaligen Truppenübungsplatzes der Hessisch Lichtenauer Kaserne – natürlich der Hellkopf, die heutige Reitanlage an der Retteröder Straße und nicht zuletzt das NABU-Biosphärenreservat und die Kuhkoppe nordöstlich des Hellkopfsees liegen auf den Besitzungen der ehemaligen Glimmeroder Gutsherren.

Seit 1865 stocherten verschiedene Unternehmen mehr oder weniger erfolgreich im Boden und den Bergen zwischen Rommerode und Hopfelde herum, unter denen teilweise schwierig auszubeutende Braunkohlevorkommen des Nordhessischen Reviers liegen. Wirklich industriell wurde der Abbau erst, als 1918 der Wintershall-Konzern die Bergwerke übernommen hatte, um das eigene Kaliwerk mit Brennstoff zu versorgen. Und ab 1937 wurde im Rahmen der Kriegsvorbereitungen das 1931 bereits stillgelegte Zechengelände in großem Stile wieder erschlossen und ausgebeutet. Denn die nördlich der Stadt Hessisch Lichtenau aus dem Boden gestampfte drittgrößte Munitionsfabrik des Reiches – deren Überreste noch heute im Industriegebiet Hirschhagen zu sehen sind – benötigte zu ihrem Betrieb jeden Krümel des braunen Goldes, das in der Region zu finden war. Das Loch aber, das letztendlich zum Hellkopfsee oder – wie die Einheimischen sagen – dem Canyon geführt hat, ist den Aktivitäten der Preußen Elektra zu verdanken, die die Zeche Glimmerode 1954 unter dem Namen  Hessische Braunkohlenwerke (HBZ) GmbH, Ihringshausen ihrem Konzern einverleibt hatte. Das Unternehmen hatte sich nämlich 1957 entschlossen, zusätzlich zum komplizierten und kostenträchtigen Tiefbau, ein neues Tagebaufeld zu erschließen. Und es ist eben das Restlosch dieses Tagebaus der 1968 geschlossenen Zeche, das sich – nach der Planierung der Abraumhalden und der Rekultivierung des Geländes mit Wasser gefüllt und zu einem der schönsten Seen der Region entwickelt hat.

Edelsteine und Fossilien

Üblicherweise liegt die Braunkohle ja nicht abholbereit an der Oberfläche und so müssen, um an den begehrten Energieträger zu kommen, erst einmal Massen von Erdschichten abgeräumt und zu mächtigen Abraumhalden aufgeschichtet werden. Dabei kommen oft genug spannende Dinge zu Tage. Auf der Zeche Glimmerode beispielsweise gehörten auch Fossilien aus dem sogenannten Kasseler Meeressand, oder Farbsteine und Quarze wie Amethyst, Chalcedon, Achat, Hornstein und Muschelkalkhornstein zu den Schätzen, die hier seit etwa 25 Millionen Jahren lagern. Hinsichtlich der Edelsteine waren das keine abbauwürdigen Mengen, für Paläontologen waren die Meeresbodenablagerungen des Kasseler Beckens – zu dem auch die  Hessisch Lichtenauer Mulde gehört - jedoch eine wahre Fundgrube. Funde aus Glimmerode sind heute noch im Kasseler Naturkundemuseum Ottoneum zu bewundern. Die Kiesschicht des Kasseler Beckens (Entstehungszeitraum vor 28,1 – 23,03 Millionen Jahren) hat als Chattium – nach dem hier in der Antike ansässigen hessischen Stamm der Chatten genannt - sogar einem Erdzeitalter seinen wissenschaftlichen Namen verliehen. Auf dem ehemaligen glimmeroder Zechengelände und besonders am Hellkopfsee dürfte die Suche nach fossilen oder mineralischen Bodenschätzen heute allerdings vergeblich sein. Durch die Einebnung der Abraumhalden im Rahmen der Rekultivierung des Geländes sind die fundreichen Sedimente so gut wie verschwunden. Bei dem feinen weißen Kies, der im Canyon allerorten zu Tage tritt, handelt es sich um den fossilfreien Sand ehemaliger Meeresdünen.
 
Braunkohlezeche Glimmerode

1865 kleiner Kohletagebau an der Straße nach Retterode kleiner Stollenbetrieb nahe der Kuhkoppe. Der wurde jedoch wegen Wassereinbrüchen und Absatzmangel der dort geförderten minderwertigen Kohle bald wieder eingestellt
1888 Betriebsstillegung der sogenannten Kieferschen Bergwerke
1897 Verkauf der der bergwerke an Wilhelm Böhme aus Dortmund, der sie unter dem Namen Wilhelm II. Hesssich Lichtenau 1898 wieder eröffnet.
1918 Übernahme durch den Wintershall-Konzern, Beginn des Abbaus im Tief- und Tagebau im größeren Stil.
1931 Verkauf und Stillegung
1937 Gewerkschaft Frielendorf – eine Tochter des BUBIAG-Konzerns (Braunkohle- und Brikettunternehmen) – übernimmt das Unternehmen samt aller Ländereien und errichtet moderne Bunker- und Förderanlagen sowie eine Grubenanschlussbahn zum Bahnhof Hessisch Lichtenau.
1939 Ausweitung der Förderkapazitäten im Rahmen der Kriegswirtschaft zur Versorgung der Munitionsfabrik in Hirschhagen.
1942 Nach vorübergehender Stillegung wegen schwerem Wasser- und Schlammeinbruch in die Grube, übernimmt die Kasseler Henschel & Sohn die Zeche und gliedert sie in ihre Tochter, die Hesssichen Braunkohlen- und Ziegelwerke GmbH (HBZ) in Ihringshausen.
1954 Die Preußische Elektrizitäts AG Hannover (Preußen Elektra) übernimmt die HBZ.
1957 Erschließung eines neuen Tagebaufeldes
1967 Braunkohletiefbau wird ab Februar schrittweise stillgelegt.
1968 Am 30.03. wird die Zeche Glimmerode geschlossen und die Abraumhalden bis 1969 im Rahmen eines Rekultivierungsprogramms eingeebnet.

Kultur nach Gutsherrenart

Als die Brüder Grimm in den Jahren 1817 bis 1821 ihren Freund Otto von der Malsburg und seine Familie auf deren Gut Glimmerode besuchten, herrschte dort noch ländliche Idylle. Und so konnte man es sich dort gut gehen lassen, Ausflüge unternehmen und beispielsweise auf dem Meißner Bergbaustollen bewundern, auf die Kalbe steigen und den Frau Holleteich besuchen, der, wie Wilhelm Grimm notiert, „jedes Jahr kleiner wird.“ Gefeiert wurde ebenfalls, wie die Briefe der Grimms an Freunde belegen. Mit Sicherheit dürfte das wissenschaftlich-literarische Interesse der Grimms aber auch während ihrer Erholungsurlaube nicht erloschen sein. Zumindest spricht der regelmäßige Besuch des Frau Holleteiches und nicht zuletzt der markanten Hollsteine in dem nahegelegenen Dorf Hollstein dafür.
Damit die Grimms die mehr als 30 Kilometer von Kassel nach Glimmerode bewältigen konnten, schickten die Malsburgs auch schon mal ihre Kutsche vorbei. Recht komfortabel in einer Zeit, da von Eisenbahnverbindungen im nordhessischen Bergland noch keine Rede sein konnte. Das freundschaftliche Verhältnis zwischen denen von der Malsburg und  den Grimms hatte sicherlich seine Ursache in ihren kulturellen Aktivitäten. Ernst Friedrich Georg Otto Freiherr von der Malsburg war selbst ein anerkannter Schriftsteller und Dichter, der – zusammen mit seinem Bruder Karl Otto – 1817 einen literarischen Zirkel organisierte. Und er gehörte auch dem romantischen Kreis der Brüder Grimm an. Insofern ist es durchaus vorstellbar, dass sich die Freundeskreise auf dem Gut Glimmerode auch versammelten „zu einer anspruchslosen, deklamatorischen Uebung, welche den Geschmack läutern, das Gedächtnis schärfen, und den Vortrag bilden sollte“, wie Ernst Friedrich Otto den Zweck seines literarischen Zirkels beschrieb. Dem gehörten so bekannte Namen wie Ludwig Achim von Arnim, Clemens Brentano – beides auch Freunde der Grimms, Louis Spohr oder Malerbruder Ludwig Emil Grimm an. Letzterer hat unter anderem das inzwischen bekannte Bildnis der Märchenerzählerin Dorothea Viehmann gezeichnet, denen die Brüder eine große Zahl ihrer gesammelten Märchen verdanken.

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