Buchprojekt zur Aufarbeitung der Geschichte der Deutschen Kolonialschule Witzenhausen ist beendet. Und nun?
„Endlich!“
möchte man ausrufen, wenn einem das wirklich eindrucksvolle Werk der Kunst-,
Geschichts- und Agrarwissenschaftsstudenten der Uni Kassel „RAUS REIN“ in die
Hände fällt. Klar, die Geschichte der Deutschen Kolonialschule in Witzenhausen
ist bekannt, dokumentiert und publiziert. Der Versuch der Aufarbeitung, wie sie
hier vorgenommen wurde, war allerdings in vielerlei Hinsicht längst überfällig.
Und sie ist, obwohl oder vielleicht sogar weil das anvisierte Ziel nicht
erreicht wurde, sehr gelungen, weil ernsthaft aber unverkrampft, kritisch aber
ohne Moralisiererei, offen und emphatisch.
Wie geht es nun weiter, RAUS REIN für
Witzenhausen der Anfang vom Ende?
Aber es ist
nur ein Anfang. Und so sehr sich der Geschäftsführer des Deutschen Instituts
für tropische und subtropische Landwirtschaft (DITSL), des Nachfolgeinstituts
der Kolonialschule, in seinem Interview durchaus glaubwürdig auch von den
Ergebnissen und der Art des Projektes beeindruckt zeigt, die Auseinandersetzung
und die angemessene Präsentation der Ergebnisse sollte nun auch von
Institutsseite aktiv vorangetrieben werden. Klar, die Archive des DITSL stehen
interessierten Nutzern zur Verfügung. Und es gibt sogar mit „Koloniale
Kontinuitäten? Transformation der Aus- und Weiterbildung in der
Tropenlandwirtschaft in Deutschland zwischen 1898 und 1980“ ein Forschungsprojekt
des Sozialwissenschaftlers und Historikers Dr. Karsten Linne, bei dem „vornehmlich
anhand der Schülerakten der ehemaligen Deutschen Kolonialschule Witzenhausen der
Frage nach Herkunft, Ausbildung und Verbleib der Schüler nachgegangen werden“
soll (Homepage DITSL). Aber der Niederschlag und die Sichtbarkeit der Auseinandersetzung
auch mit der unbequemen Vergangenheit in Witzenhausen selbst, erscheint doch
sehr rudimentär. Und nach dem HNA-Bericht zum Buch und seiner Präsenz im
Schaufenster des Witzenhäuser Buchhändlers steht zu erwarten, dass der Anfang
auch gleichzeitig das Ende ist.
Aufarbeitung großzügig delegiert
Denn bereits
lange vor dem RAUS REIN-Projekt standen im DITSL das besagte Archiv zur
Recherche und mit dem sogenannten Völkerkundlichen Museum auch entsprechende
Präsentationsmöglichkeiten zur Verfügung. Und während von der Stadt das
Völkerkundemuseum trotz seiner Öffnungszeiten (April bis Oktober, Mittwoch von
15.00 bis 17.00 Uhr, Sonntag von 15.00 bis 17.00 Uhr) allen Ernstes als
Touristenattraktion verkauft wird, bewerten die Herausgeber von REIN RAUS, Hendrik
Dorgathen und Marion Hulverscheidt, die ethnographische Sammlung mit dem
offiziellen Leitthema „die menschliche Gesellschaft in Bezug zur natürlichen
Umwelt“ ein wenig realistischer: „Lokal, in Witzenhausen scheint uns eine
Neuausrichtung des Völkerkundlichen Museums dringend geboten. In seiner
jetzigen Form ist es eher ein Panoptikum.“ (im Sinne von Raritäten- oder
Kuriositätenkabinett)
Und das,
obwohl bereits seit Anfang 2005 mit der Ausstellung in Raum 5 „Die Welt in
Witzenhausen - Witzenhausen in der Welt" nach dem Selbstverständnis des
DITSL ein Beitrag zur Aufarbeitung der umstrittenen Kolonialvergangenheit
Witzenhausens geleistet worden ist. Tatsächlich findet der Besucher in dieser „Aufarbeitung“
von dem, was in REIN RAUS thematisiert wird, kaum etwas.
Vielleicht auch mal etwas anderes als
Umzüge, Feste oder Werbeveranstaltungen für die Wirtschaft sponsern?
Vordergründig
sind es immer wieder die knappen finanziellen Mittel, die in der Stadt
Witzenhausen (und auch anderswo in der Region) verhindern, auch kulturell Wichtiges
und Nachhaltiges umzusetzen. Auch das Forschungsprojekt Linnes wird nicht etwa
vom DITSL oder der Stadt Witzenhausen finanziell unterstützt, sondern von der Hamburger
Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur finanziert. Dennoch, so
knapp kann das für Witzenhäuser Heimatgefühle mobilisierbare Geld nun auch wieder
nicht sein. Man denke da nur an die privat finanzierte und an prominenter
Stelle zur Schau gestellte Skulptur Ludwig Erhards. Der hatte hier mal einen
Wahlkampfauftritt, sich damit einen Platz in der aufregenden Witzenhäuser Geschichte
gesichert und das Werrastädtchen zur tourismusmagnetischen Weltstadt gemacht.
Weitere so eng mit der Stadt verbundene Persönlichkeiten der Weltgeschichte sollen
folgen
Größenwahn oder politisches Kalkül?
Wie wäre es
mal nach einem Sponsor für eine Skulptur des Franz Seelemann zu suchen oder
Workshops zur Geschichte der Kolonialschule (mit Archivnutzung) an der
Volkshochschule zu organisieren, Schulklassenprojekte zu initiieren oder die Verfasser
von REIN RAUS zu multimedialen Vorträgen nach Witzenhausen einzuladen oder den
Raum 5 des Museums gestalten zu lassen (und gegebenenfalls hierfür auch die
Kosten zu übernehmen). Nicht zu vergessen die öffentliche Diskussion um die
Büste des Gründungsdirektors. Nachdem sich Witzenhausen in seiner Selbstsicht mit
der Ludwig Erhard Skulptur nun zum politischen Nabel der Welt, mit seinen ökologischen
Projekten zur Bio-Hauptstadt Deutschlands oder mit den geplanten Fahrradschließautomaten
an der Werrabrücke zur Bikemetropole aufgeschwungen hat, wäre vielleicht auch
mal eine nachhaltige Bildungs- und Kulturoffensive drin. Vielleicht relativiert
sich dann ja vor dem realen geschichtlichen Hintergrund des Örtchens die von
außen betrachtet gelegentlich etwas merkwürdig anmutende Selbstwahrnehmung.
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